1948 Paulskirche

18. Mai 1948 Hundertjahrfeier der Nationalversammlung in der wiederaufgebauten Paulskirche

Festrede von Fritz von Unruh

Berichte von damals in Ton und Bild
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Fritz von Unruh:
„Rede an die Deutschen“ / Eugen Kogon (kommentierte Neuausgabe)

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Hier folgt zunächst das Vorwort zur geplanten Neuausgabe der „Rede an die Deutschen“. Erstveröffentlichung im Verlag der Frankfurter Hefte 1948.

Oben: Postkarte / Unten: Abgestempelter Briefumschlag














Vorwort zur Neuausgabe
Fritz von Unruh, Rede an die Deutschen
Vorabveröffentlichung
(Erscheint Januar 2025)

Die Rede eines heute fast vergessenen Schriftstellers, vor allem Dramatikers, dessen Theaterstücke in der Weimarer Republik einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren, zur Wiedereröffnung der Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1948 galt dem Rückblick auf eine hundertjährige Vergangenheit, inmitten materieller, kultureller und moralischer Trümmer. In einer Zeit des radikalen Umbruchs und notwendiger Besinnung zog dieser Blick zurück auf hoffnungsvolle Anfänge und einen fürchterlichen Irrweg in die Katastrophe Lehren daraus für die Zukunft. Dies geschah zum Zeitpunkt, als sich schon eine neue Demokratie gründete, in den Ländern schon geschehen und von ihnen aus ein Jahr nach der Paulskirchenfeier hin zu einer Bundesrepublik. Der erste Schritt dazu erfolgte bereits einen Monat nach der Veranstaltung am 18. Mai durch die westdeutsche Währungsreform am 21. Juni.

Fritz von Unruh (1885-1970) verkörpert in seiner Biographie die Umbrüche und Widersprüche einer Generation von Intellektuellen, die nach zwei Weltkriegen dazu beitragen wollten, dass diese Vergangenheit nicht nur politisch, sondern auch mental nie mehr wiederkehren sollte. Wie viele andere auch war er „Wilhelminist“ gewesen, schlug die Offizierslaufbahn ein, brach sie aber dann als Leutnant 1911 aus Ablehnung des Militarismus ab und meldete sich trotzdem 1914 freiwillig zum Krieg. Seiner eigentlichen künstlerischen Berufung konnte er nach dem 1. Weltkrieg uneingeschränkt freien Lauf lassen und wurde expressionistischer Schriftsteller.

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Die Kriegserfahrung machte ihn zum Pazifisten. Er war Mitbegründer der „Eisernen Front“ aus Reichsbanner Schwarz-Rot- Gold und Gewerkschaften gegen die „Harzburger Front“ aus DNVP und NSDAP im Herbst 1931. Am 18. Januar 1932 hielt er bei der Kundgebung der Eisernen Front die Ansprache im Berliner Sportpalast, der mit 22 000 Teilnehmern ebenso gefüllt war wie später bei den Reden von Goebbels.

Mitten in Ruinen begann die Stadt Frankfurt bereits Ende 1945 mit den Vorbereitungen für die Jahrhundertfeier der Paulskirche, die dafür erst wieder aufgebaut werden musste und im Inneren nicht mehr so, wie sie einst war. Mit den Feierlichkeiten in der ganzen Woche fand am Tag nach dem Festakt in der Paulskirche der zweite deutsche Schriftstellerkongress der Nachkriegszeit statt, diesmal ohne ostdeutsche Teilnehmer.

In diesem Zusammenhang wurde Fritz von Unruh die Grundsatzrede in der Paulskirche übertragen.3 Die Rede an die Deutschen richtete sich nicht nur an das Publikum im Saal. Wie Eugen Kogon sein Geleitwort in der Publikation gleich äußerst scharf einleitet, hätte kein Politiker, kein Professor, auch kein Mann der Kirche die notwendige moralische Integrität dazu gehabt.

 „Aber waren die tausend Zuhörer der Paulskirche repräsentativ für ‚die Deutschen‘, an welche sich die Rede nunmehr richtet“, fragte er sich auch, und hinsichtlich der Publikation: „Wie wird vor allem die junge Generation diese leidenschaftliche Sprache empfinden?“ (S. 10).

Fritz von Unruh hat den historischen Bezug zu den Hoffnungen von 1848 hergestellt und dann „den deutschen Weg der letzten siebzig Jahre an seinem eigenen Leben unübertrefflich dargestellt“, betont Kogon. Dieser Weg ist in der Rede in eine nicht nur politische, sondern auch kulturgeschichtliche Dimension, stellenweise geradezu theatralisch anmutende Aufführung eingebettet. Die Verschränkung des persönlichen und des allgemeinen Weges Deutschlands sollte verdeut­lichen, dass das politische Geschehen kein nur äußeres war, sondern auch zum „Verderben in uns selbst“ geführt hat, darin war Kogon mit Unruh ganz einig: „Diese ‚Rede an die Deutschen‘ gehört zur Säuberung. Damit zur Versöhnung zwischen allen, die sich ihr unterziehen.“ (S. 12f.).

Eugen Kogon (1903-1987) war Redakteur einer katholischen Zeitschrift in Wien und wurde dort nach dem „Anschluss“ wegen Unterstützung deutscher Widerständler verhaftet, 1939 im KZ Buchenwald interniert und entkam dort knapp seine Ermordung im April 1945. Er gehörte zum Kreis des „Buchenwalder Manifests“ und wurde nach der Befreiung von den Amerikanern mit der Leitung eines umfassenden Berichts über Buchenwald beauftragt. Daraus entstand dann auch 1946 sein eigenes, weiter gefasstes Buch Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager, das bis heute meistgelesene Buch zum Thema. Zusammen mit Walter Dirks gründete er 1946 die Frankfurter Hefte, die bedeutendste Nachkriegszeitschrift, und trug maßgeblich zur geistigen Neugründung der Demokratie bei. 1951 wurde er Professor für Politikwissenschaft in Darmstadt.

Im Mittelpunkt der Rede an die Deutschen und des Geleitwortes stehen die Deutschen – als Täter, Mitmacher, Mitwisser und Weggucker, Opfer ihrer selbst und nicht eines über sie hereingebrochenen Unglücks, wie sie es nach dem Krieg gerne darstellten. Es ist damit auch ein Zeitzeugnis der geforderten Selbstbesinnung in dieser Niemandszeit im Niemandsland vor der Wiederherstellung einer „Normalität“ in einem neuen Staat mit Amnestie und Amnesie. Im Mittelpunkt stehen hier daher nicht die Verbrechen, die wir heute in den Mittelpunkt stellen würden, sondern die direkten oder indirekten eigenen Erfahrungen, die politische Verfolgung, der Widerstand, und die Verführung der Verführten, die dies anschließend gerne als Ausrede vorbrachten, wussten sie doch nicht, was sie taten, und hofften auf Vergebung.

Doch Unruh berichtet auch über das ihm zur Kenntnis gekommene Zeugnis von der „Juden-Ausrottungsmaßnahme“ (S. 41 und Anm. 77) durch Axel von dem Bussche. Auch Kogon hatte im SS-Staat die „Hinrichtungsstätten und Gaskammern“ sehr wohl erwähnt, doch fehlte ihm das konkrete Wissen darüber. Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis es nicht mehr verdrängt werden konnte, sondern sich aufdrängte und nicht mehr nur als Schuld der NS- und SS-Führung abgetan werden konnte.

Zu dieser Neuauflage der Rede an die Deutschen:

Die „leidenschaftliche Sprache“ und der ausgebreitete bildungsbürgerliche Horizont mit umfassenden Verweisen und Anspielungen auf die kulturelle und politische Geschichte sind für den heutigen Leser nicht nur zeitlich fern. Deswegen haben wir erklärende Anmerkungen und Kommentare am Ende eingefügt, die im Text jeweils am Seitenrand auf der Höhe der betreffenden Zeile als Endnoten markiert sind.

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1 Siehe das Foto des Bundesarchivs auf Wikipedia https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_102-12980,_Berlin,_Sportpalast,_Kundgebung_des_Reichsbanners.jpg

2 Vgl. Fritz von Unruh, Frankfurter Personenlexikon, https://frankfurter-personenlexikon.de/node/1529

3 Zusammen mit der Ansprache von Oberbürgermeister Walter Kolb ist die Rede in der damaligen Übertragung durch den Rundfunk beim SWR als Audio verfügbar: https://www.swr.de/swrkultur/wissen/archivradio/wiedereroeffnung-der-paulskirche-100-jahre-nach-nationalversammlung-100.html

 Vgl. auch: Waltraud Wende-Hohenberger: Ein neuer Anfang? Schriftsteller-Reden zwischen 1945 und 1949. Stuttgart /Metzler) 1990, darin: F. Die Frankfurter Jahrhundertfeierlichkeiten, Fritz von Unruhs ‚Rede an die Deutschen‘ und der ‚Zweite deutsche Schriftstellerkongress‘. S, 187-241.

 Wolfgang Geiger
Eugen-Kogon-Gesellschaft e.V.