18. März Internationaler Tag der politischen Gefangenen

Häftlinge als Zeugen der Demokratiegeschichte / Gedenkveranstaltung in der Festung Königstein

Gedenkveranstaltung der Historischen Vereine Königsteins für die inhaftierten Demokraten der Mainzer Republik 1793-95 am 18. März 2025.

Königstein Festung Ostsseite
Festung Ostseite, Fassade des Gebäudes, das auch als Gefängnis diente. - Alle Fotos (C) bei den Veranstaltern.
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Das Event

Die Veranstaltung der historischen Vereine Königsteins, federführend der Verein für Heimatkunde (Vors. Frauke Heckmann) und der Neue Königsteiner Kreis, fand in Anwesenheit des Landtagspräsidenten von Rheinland-Pfalz, Henrik Hering, um 10 h in der Ruine der Festung Königstein statt, am Ort der 1793-95 inhaftierten Demokraten der niedergeschlagenen Mainzer Republik. Ansprachen hielten Henrik Hering (Landtagspräsident Mainz), Dr. Wolfgang Geiger (Verband Hessischer Geschichtslehrerinnen und l-ehrer sowie Eugen-Kogon-Gesellschaft) und Dr. Charlotte Rau (Richterbund Hessen). Christoph Schlott vermittelte einen historischen Durchgang durch die Geschichte der Königsteiner Festung in jener Epoche und des politischen Gefängnisses. Zu Gast waren auch die Historikerin Brigitte Oswald-Mazurek Bürgerinitiative Gedenktafel, siehe unten) und Marc de la Fouchardiière (Le Souvenir Français en Allemagne) und Dr. Gerhard Adler vom Magistrat. Siehe auch den Bericht in der Königsteiner Woche 16 vom 17.4.2025 auf S. 20. Es folgt die Ansprache von Wolfgang Geiger.

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Politische Gefangene als Teil der Dmokratiegeschichte

Wer kennt den Internationalen Tag der Politischen Gefangenen? Ich noch nicht so lange, muss ich offen zugeben, und sah darin zunächst auch einen aktuellen politischen Bezug, so à la Amnesty International, keinen historischen Bezug. Aber genau das ist das Problem: Politische Häftlinge haben in unserer Erinnerungskultur keinen Stellenwert, weil kein besonderes Ansehen, anders als es in der DDR war. Vielleicht auch gerade deswegen? Diese Frage kann man übrigens spiegelverkehrt in beide Richtungen stellen: Warum dort und nicht hier? Nun, gewiss, politische Häftlinge kennen wir im Nationalsozialismus: Buchenwald, Dachau…, aber eigentlich nur als Opfer der Verfolgung, kaum als Akteure und Zeitzeugen, sofern sie überlebten, wie der Buchenwalder und spätere Wahl-Königsteiner Eugen Kogon, der sich allerdings, Ausnahme von der Regel, damals immerhin einen Namen machte.

Caroline Schlegel 1798 Porträt von Tischbein
Caroline Schlegel 1798, porträtiert von J.F.A. Tischbein, Wikipedia
Festung Königstein Gedenktafel Caroline Schlegel-Schelling
Inschrift und Plakette der Gedenktafel einer Bürgerinitiative 1993 (Brigitte Oswald-Mazurek)
Fesetung Königstein Gedenktafel Caroline Schlegel-Schelling

Caroline Böhmer, verh. Schlegel / Schelling und Felix Anton Blau

Von der Demokratiebewegung des 18. und 19. Jh.s. kennt das allgemeine historische Bewusstsein aber keine Gefangenen. Wer weiß denn, wie viele Demokraten der Mainzer Republik [1] oder auch zufällig Mit-Inhaftierte oder „nur“ Geiseln zum Austausch hier in der Königsteiner Festung zusammengepfercht wurden? Ihre Haftbedingungen waren gewiss besser – alles ist eben relativ – als die in Buchenwald. Sie konnten unter bestimmten Bedingungen mit der Außenwelt kommunizieren, durften Besuch empfangen. Aber trotzdem gibt es auch erschütternde Beschreibungen. Unter den Häftlingen war, wenn auch nur kurz, eine Frau, Caroline Böhmer - spätere verheiratete Schlegel, dann Schelling -, die mit ihrem kleinen Kind hier ins Gefängnis kam. Sie heiratete später Schlegel und dann Schelling -, und wurde nicht nur deswegen berühmt, ihre frühe Geschichte und Inhaftierung sind dagegen nur wenigen bekannt. Und später fast unbekannt geblieben, damals aber durchaus bekannt, war der Theologe und Philosoph Felix Anton Blau, der hier in der Haft sein Buch schrieb – man fragt sich: wie? – Über die moralische Bildung des Menschen (1795). Darin sagt er gleich zu Beginn: „Wenn es der erhabenste Zweck der Philosophie ist, Lehrerin der Weisheit zu sein [also die Weisheit zu lehren], so müssen die Bemühungen der Philosophen auch dahin abzielen, die Tugend unter den Menschen zu verbreiten […].“ [2] Diese gesellschaftliche Praxisorientierung – für was und für wen denken wir eigentlich? – scheint mir ein charakteristischer Zug jener gefangenen Denker gewesen zu sein, man findet ihn auch bei Kogon wieder, anders formuliert, in der Sprache seiner Zeit, nicht mehr Tugend, sondern Moral. Doch selbst für diejenigen, die vielleicht „unbegründet“ inhaftiert wurden, galt, was Caroline Böhmer schrieb: „„Königstein bildet eifrig Freyheitssöhne“. [3]

Felix Anton Blau Über die moralische Bildung

Diese verfolgten, inhaftierten, malträtierten Freiheitsöhne sind uns also keine Stimme, obwohl sie eine Stimme hatten und auch hinterlassen haben, einige von ihnen jedenfalls. Warum kennen wir sie nicht? Darüber kann man lange nachdenken, wofür jetzt hier leider nicht die Zeit ist. Nur kurz: Die gescheiterten demokratischen Aufstände gingen ja noch glimpflich aus, so scheint es, die Unterlegenen flohen ins Exil, nach Frankreich, in die Schweiz oder in die USA. Felix Blau konnte durch einen Gefangenenaustausch nach Frankreich, spielte dort noch eine Rolle, aber nicht für uns, in unserer Erinnerung. Die Exilierung vieler 48er später ist bekannt – wer weiß aber, wie viele schon Ende 1848 im Gefängnis saßen in Preußen, als die Paulskirche weiter debattierte, als wäre nichts geschehen? Einer von ihnen war Ferdinand Lassalle, später Mitbegründer der Sozialdemokratie. Politische Gefangene, politische Gefängnisse sind Teil der Demokratiegeschichte. Sollte es daran einen Zweifel geben? Warum wird daran aber hierzu nicht so erinnert, wie es angemessen wäre? Das Engagement der demokratischen Akteure, ihr Abenteuer, ihr Risiko, nicht selten ihr Martyrium verblasst im Schulunterricht und im kollektiven Gedächtnis hinter der institutionellen Geschichte. [4]

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Wir kennen Berühmtheiten der Paulskirche, doch kaum einen der März-Revolutionäre namentlich, die sie überhaupt ermöglicht haben; wir streifen eher kurz die Mainzer Republik und kennen, wenn überhaupt, nur Georg Forster. Was aus all jenen wurde, darunter wie gesagt nicht nur Namenlose, nachdem die Mainzer durch den Wechsel der Kriegslage unter preußische Herrschaft kamen, vermitteln wir nicht, weil wir es gar nicht wissen. Das hat auch damit zu tun, dass die Französische Revolution als Epoche aus deutscher Perspektive zu sehr unter Napoleon leidet und die Revolution selbst zu sehr unter Robespierre – nicht ganz zu Unrecht, gewiss, aber zu einseitig und damit vollkommen unangemessen. Wie ist es mit dem Ort dieser Demokratiegeschichte hier in der Ruine? Warum gibt es keine virtuelle Rekonstruktion des Gefängnisses hier vor Ort oder überhaupt eine offizielle Erinnerung an das Geschehene und seine Bedeutung als Ort der Demokratiegeschichte? Ist es einfach nicht wichtig? Der Unwissenheit kann geholfen werden: Seit einigen Jahren steht doch eine umfangreiche Dokumentation all dessen vom Chronicon-Verlag von Christoph Schlott sogar online zur Verfügung. [5]

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Demokratiegeschichte als unsere Geschichte

Wenn man den Abstand vergrößert, sieht man die Dinge besser im Überblick. Begreifen wir unsere Demokratiegeschichte eigentlich wirklich als unsere Geschichte, d.h. von uns „gemachte“ Geschichte? Ist die Demokratie nicht vielmehr „über uns gekommen“: Von Frankreich durch seine Revolutionen 1789-1792, Beginn des Krieges, und Februar 1848, Auslöser der Märzrevolution in Deutschland; von den Amerikanern nach 1945? Mit einem Zwischenspiel namens Weimarer Republik, die lange Zeit als die „von Anfang an zum Scheitern verurteilte“ Republik gesehen wurde und, wenn auch gemindert seit dem Jubiläum 2019, immer noch wird? Der eigene Anteil an der deutsche Demokratiegeschichte wird geringgeschätzt und minimiert, dabei hatten sich eben die Mainzer Demokraten, wenn auch unter äußerst schwierigen Umständen, sich selbst für die Ideen der Französischen Revolution ausgesprochen, und im Oktober 1847 trafen sich 57 Delegierte aus ganz Deutschland in Heppenheim zur Vorbereitung dessen, was dann durch den Auslöser der französischen Februarrevolution 1848 im März als Forderungen von Demonstranten auf deutsche Straßen kam. [6]. Wolfgang Geiger

Gruppenfoto mit der Tafel vom französischen Dekret über den Beitrtt der Mainzer Republik zu Frankreich
Dekret Natiionalkonvent 30.3.1793

Gruppenfoto mit der Tafel vom französischen Dekret über die Aufnahme der Städte und Gemeinden der Mainzer Republik in die Französische Republik, 30.3.1983 (H. Hering und Chr. Schlott).

Unter den politisch-militärischen Beidngungen war die Mainzer Republik, d.h. Mainz mit seinem dazugehörigen Städten und Gemeinden bis nach Worms, die sich der Republik angeschlossen hatten, nicht überlebensfähig. So beschloss der Mainzer Konvent am 21.3.1793 den Beitritt zur Französischen Republik. Die konnte den Mainzern jedoch nicht helfen. Die preußsichen Truppen waren bereits auf das Territorium des Freistaats vorgedrungen.

Dekret des Nationalkonvents vom 30 März 1793, dem zweiten Jahr der Französischen Republik, darüber, dass die Städte von Mainz, Worms etc. integraler Bestandteil der Französischen Republik sind.

Der Nationalkonvent, nach Anhörung der an ihn gerichteten Adresse im Namen der freien Völker Deutschlands [Germanie] durch die Abgeordneten des Nationalkovents in Mainz und auch nach Vorlage des Dekrets dieses Konvents vom 21. März mit dem Ziel, den Anschluss aller Städte und Gemeinden, die er vertritt, an die Französische Republik zu erhalten,  erklärt im Namen des Französischen Volkes, dass er diesen frei geäußerten Wunsch akzeptiert […]

Anmerkungen

[1] Vgl. Jörg Schweigard: Aufbruch am Rhein: Im Mainz entsteht die erste Republik. Auf das rauschende Fest folgt preußischer Beschuss und Gefangenschaft in Königstein, in: KEK, Sonderzeitung 2024 (siehe Anm. 3), S. 15f.

[2] Felix Blau: Über die moralische Bildung des Menschen nebst einem Anhange. Frankfurt am Main (Eichenberg) 1795/98, Vorrede (S. 1). Zu Blau vgl. Jörg Schweigard: Die Moral der Vernunft – Mutig gegen den Absolutismus. Das Leben des Befreiungstheologen und Mainzer Republikaners Felix Anton Blau / Seine Haft „auf dem Königstein“, in: KEK, Sonderzeitung 2024 (siehe Anm. 3), S. 20f., https://www.koenigstein-kulturelles-erbe.de/wp-content/uploads/2023/05/KEK-BEricht-1-2023-100dpi.pdf

[3] Zit. nach: Christoph Schlott: Festung Königstein – „Ort europäischer Demokratiegeschichte“?, in: Kulturelles Erbe Königstein, Berichte 2023-I, herausgegeben von Ellengard Jung / Christoph Schlott / Andrea Schmidt, S. 45-46, https://www.koenigstein-kulturelles-erbe.de/wp-content/uploads/2023/05/KEK-BEricht-1-2023-100dpi.pdf; vgl. darin auch Daniel Meis: Caroline Böhmer – Dissidentin „auf dem Königstein“, S. 33-38. – Vgl. auch: Ellengard Jung (Hrsg.): Ort europäischer Demokratiegeschichte: Festung Königstein – Das Gefängnis der ersten Demokraten. Kulturelles Erbe Königstein, Sonderzeitung 2024, ; darin: Christoph Schlott: Das Gefängnis der ersten Demokraten. Wer saß wann warum „auf dem Königstein“? / Identitätsstiftend und bedeutend für unsere Demokratie?, S. 6f. 

 [4] Vgl. Kurt Kreiler (Hrsg.): Sie machen uns langsam tot – Zeugnisse politischer Gefangener in Deutschland 1780-1980, Darmstadt / Neuwied (Luchterhand), 1983. – (N.B.: Dass hier die RAF einbezogen ist, ist diskutabel, beeinträchtigt aber nicht den Wert der Zeugnisse aus früheren Zeiten.) – Vgl. auch Christoph Schlott: Königstein bildet eyfrig Freiheitssöhne! Warum ein politisches Gefängnis ein Ort der Demokratiegeschichte ist / Kennzeichnung als moralische Pflicht, in: KEK, Sonderzeitung 2024 (siehe Anm. 3), S. 18f.

[5] https://www.koenigstein-festung.de/downloads-buecher/

[6] Die Heppenheimer Tagung im Gasthof zum halben Mond. Orte, Personen und Institutionen der Demokratiegeschichte in Hessen, https://www.geschichtslehrerverbandhessen.de/html/heppenheimer_tagung.html

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Ergänzung

Das Buchenwalder Manifest

Auch unter den politischen Gefangenen des Konzentrationslagers Buchenwald entstanden Pläne für eine zukünftige Gesellschaft nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Bekannt und in der DDR geradezu „sakralisiert“ ist der Schwur von Buchenwald bei der ersten Trauerfeier im befreiten Lager am 19.4.1945, acht Tage nach der Befreiung. Er galt zuerst dem Dank an alle Befreiungsarmeen und dem verstorbenen US-Präsidenten F. D. Roosevelt und dem Gedenken der nach damaliger Zählung 51000 Toten des KZs. Die Versammelten schworen: „Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“ [7]

Einige Tage später wurde die Formel von kommunistischen Ex-Häftlingen leicht verändert in „die endgültige Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln“, womit nach der linken Interpretation der (Monopol-)Kapitalismus gemeint war und worin sich schon die Antifa-Orientierung der SBZ und der späteren DDR ankündigte.

„Jedem das Seine“

Außentor des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar, heute Gedenkstätte

Buchenwald Tor

Unabhängig davon und auch zuvor schon entstand am 13.4.1945 von einer Gruppe Demokratischer Sozialisten um den Sozialdemokraten Hermann Brill, einem Freund Eugen Kogons, das Buchenwalder Manifest. [8]

 Es war ein ausführlicheres Programm, das auch auf eine sozialistische Gesellschaft setzte, wie es unmittelbar nach dem Krieg in ganz Deutschland weit verbreitet war, und dabei ebenso auf die „Kapitalistenknechte der NSDAP (Abschnitt 3) zielten. wobei der Begriff Sozialismus relativ offen blieb, zwar alte Dogmen wie den „Klassenkampf“ und die „proletarische Aktion“ beschwor und auch, dass die Banken verstaatlicht und „Staatsmonopole für Massenverbrauchsgüter“ geschaffen werden sollten (Abschnitt 4) und „Deutschland ökonomisch und kommunal nur auf sozialistischer Grundlage wieder aufgebaut werden“ könne (Abschnitt 4), darin zeigt sich, dass ad-hoc-Maßnahmen des Notstands sich mit längerfristigen Vorstellungen vermischten.

Grundsätzlich fand jedoch eine Anlehnung an die britische Labour Party und andere europäische Sozialisten (Sozialdemokraten) statt (Einleitung und Abschnitt 7) und warf der III. Internationalen vor, „dass sie „an den Interessen der russischen Staatspolitik gescheitert“ ist (Abschnitt 7). Als Ziele wurden nicht nur der Sozialismus, sondern auch die „bürgerlichen Freiheiten“ genannt (Abschnitt 2), „freie tarifvertragliche Regelung des Lohn- und Arbeitsverhältnisses“ durch freie Gewerkschaften (Abschnitt 3). Als übergeordneten Auftrag setzte sich die Gruppe: „Wir brauchen einen neuen Geist. Er soll verkörpert werden durch den neuen Typ des deutschen Europäers. Und kann niemand umerziehen, wenn wir es nicht selbst machen.“ (Abschnitt 6). Dies nahm schon fast prophetisch die Grundsätze vorweg, die Eugen Kogon in seinem Buch „Der SS-Staat“ ausführen sollte.

Wolfgang Geiger

 

[7] Buchenwalder Nachrichten vom 20.4.1945, Gedenkstätte Buchenwald, https://www.buchenwald.de/geschichte/themen/dossiers/schwur-von-buchenwald

[5] Bundesarchiv, Nachlass Brill, N 1086/94 / Buchenwalder Manifest. Suche in https://invenio.bundesarchiv.de